Unkel: Sarusy, 1995.
Auszüge:
VERMISCHTES GRÜN …
„IN EINEM HAIN, DER EINER WILDNISS GLICH
UND NAH‘ AM MEER EIN KLEINES GUT BEGRÄNZTE“
ODER
BESUCH BEI CHRISTOPH
Pralle, dünnharte Lichtstrahlen fielen durch ihre Schlitze und projizierten, zusammen mit den weicheren, breiter durch die Türjalousie strahlenden, ein abstraktes, von der Sonne bewegtes Muster in den Innenraum. Sie duckten, kauerten am dunkelhölzernen Fußboden, wanden sich bizarr um runde und eckige, wie im Raum abgestellt wirkende Möbel und Gegenstände und verliehen ihnen widersprüchliche Gestalt im Spiel von Licht und Schatten.
Das links an den Wohnraum angegliederte Zimmer lag vollkommen im Dunkeln. Durch die halboffene Türe drang kühle Luft aus dem vom heißen Draußen abgeschotteten Nebenraum, die sich mit der gefilterten, den großen Raum erfüllenden Warmluft nur zögernd mischte.
Rechts neben dem hölzernen Sekretär ragte ein Regal bis zur Decke. Vollgestopft mit Büchern, Zeitschriften und zusammengefalteten Zeitungen und Zeitungsausschnitten zog es Georg nahezu magisch in seinen Bann. Er interessierte sich seit je für private Bibliotheken, die manchmal nur aus einer Ansammlung weniger Bücher bestanden. Überall, wo er zu Gast war, stöberte er in fremden Bücherreihen. Er hatte bei diesen Expeditionen die verschiedenartigsten Ausstellungsarten und -formen der Bibliotheken seiner Gastgeber vorgefunden: wohlgeordnete Bücherfluchten, in denen die nach Aufschlagen, Anfassen und Lesen fiebernden Werke wie Zinnsoldaten in Reih und Glied stehen mußten, unberührte, ungelesene Dekorationen, literarische, nach Größen und Farben sortierte Meterware; aus anderen Regalen drängten die Bücher zur Lektüre, dort wagten sich manche Buchrücken über die Kante der Einlagebretter hinaus, manche zogen sich zwischen ihren naseweisen Kollegen zurück, um geradeso Neugierde zu wecken; wieder anderen war von vornherein die Chance, entdeckt, gelesen, geliebt, gelebt zu werden, verwehrt worden, sie dienten, zum Heiligtum erklärt, auch nicht der Ausgestaltung eines Raumes, sondern seiner, und des Besitzers Weihe, verschlossen hinter den Glastüren der Vitrinenschränke blieb ihr Innerstes verborgen.
Manche Bücher standen in keiner der schiefen Reihen aufgestellter oder gelegter Bände, sondern lagen auf den Bücherbrettsimsen, einige offen, andere geschlossen, den speckigen Rücken vorbeugend, und in der oszillierenden warmen Luft schien es, als atmeten die Seiten der aufgeschlagenen Bücher ihre erdachten Welten aus und die außerhalb liegende, wirkliche ein – vielleicht wechselten sie sich bei dieser Tätigkeit auch von Zeit zu Zeit ab, vermischen konnte sich diese innere Welt der Bücher mit der äußeren aber nur in dieser schmelzenden, dämmrigen Luft, die Christophs Arbeitsraum erfüllte, draußen wäre das Gemisch im gleißenden Licht zerstäubt.
Spärliche Lichtstreifen beleuchteten nur wenige Werke, und so erkannte Georg nur einen geringen Teil der Titel. Die in den Reihen und Winkeln des Regals dösenden verbargen sich in undurchdringbarem Schatten. Gleich vor ihm, in Augenhöhe, lag auf einem der hölzernen Simse Thomas Manns Zauberberg. Aufgeschlagen türmten sich die inneren Seiten zu einem Blätterfächer, dessen Halbrund nur wenig von einem darunterliegenden Werk freigab, der größte Teil des Titels war in den finsteren Schatten verbannt, nur die Wortbrüche …des inneren Zeitbewußt… waren im Halbschatten zu lesen, den Rest verdeckte Platons Timaios.